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Arzt, Ingenieur… oder doch Profi-Fußballer?

Bis zum letzten Sitzplatz gut besucht.

Rund 70 interessierte Bürger aus Lülsfeld, Schallfeld aber auch anderen umliegenden Gemeinden trafen sich zu einer Informationsveranstaltung im ehemaligen Lülsfelder Kloster um mehr über ihre seit Oktober letzten Jahres hier lebenden jungen Nachbarn zu erfahren. Eingeladen hatte die Caritas mit dem Ziel über die Situation der ohne erwachsene Begleitung nach Deutschland geflüchteten Jugendlichen zu berichten aber auch um Möglichkeiten der Unterstützung aufzuzeigen.

Als Vertreterin der Gemeindecaritas im Caritasverband der Stadt und des Landkreises Schweinfurt stellte Marion Hammer ihre Organisation vor. Hier im ehemaligen Kloster als Außenstelle zum Jugendhilfezentrum Maria Schutz, Grafenrheinfeld seien aktuell acht pädagogische Vollzeitkräfte im Einsatz um die rund 30 Jugendlichen zu betreuen. Sie beschrieb den wesentlichen Unterschied zwischen einem minderjährigen unbegleiteten Flüchtling und einem klassischen Asylbewerber. Letztere sind mehr oder weniger selbst für sich verantwortlich. Für die unter das deutsche Jugendschutzrecht fallenden Minderjährigen gelten besondere Auflagen. Zum Beispiel bekämen diese mehr Unterstützung und könnten nicht ohne weiteres abgeschoben werden.

Beeindruckt lobte sie die verantwortliche Projektleiterin Marion Stief. Es sei unglaublich, was hier in kurzer Zeit auf die Beine gestellt wurde!

Beide schilderten dann ausführlich, wie erste Herausforderungen gemeistert wurden – Die Tücken steckten manchmal im Detail. Beispielsweise sei ein genaues Geburtsdatum nicht immer nachvollziehbar. In einigen Ländern würden die Geburten sozusagen nur quartalsweise dokumentiert. Auch gäbe es einen Bewohner, dessen Eltern zwar aus Syrien stammten, er aber während der Flucht seiner Eltern im Iran geboren wurde. Hier gelte es die Staatsangehörigkeit zu klären, ein wesentliches Kriterium für die Einstufung spätestens als Erwachsener.

Während die sprachlichen Barrieren relativ schnell überwunden werden konnten täten sich Viele beim Schreiben schwerer, so Stief weiter. Man müsse dazu wissen, dass im Arabischen oder Persischen von rechts nach links geschrieben wird, es also ein komplettes Umlernen zur Folge habe. Auch das Benutzen einer normalen europäischen Toilette musste erst teilweise unter Zuhilfenahme von Anleitungen vermittelt werden. Wichtig sei es auch klare Regeln aufzustellen. Fahrradverbot gibt es beispielsweise bei Verstoß gegen die selbst auferlegte Helmpflicht.

Die Smartphones der Jugendlichen bezeichnete Stief als deren „Nabelschnur“ – für einige die einzige Möglichkeit den Kontakt zu Freunden oder Verwanden zu halten oder die auf der Flucht verlorenen Begleiter wieder zu finden.

Marion Stief lobte die rund 30 Jugendlichen. Vorbildlich respektierten diese die vorrangig weiblichen Betreuerinnen. Beispielsweise sei es keine Diskussion beim Verstauen der getätigten Einkäufe zu helfen. Bisher gab es auch nur einen einzigen Polizeieinsatz in Lülsfeld. Im Vergleich zu ähnlichen Einrichtungen ein herausstechend positives Merkmal. Auch Bürgermeister Wolfgang Anger konnte ein vorbildliches Beispiel zum Besten geben. So brachte einer der Jugendlichen über einen längeren Zeitraum eine kranke, ältere Dorfbewohnerin vom Abendgottesdienst nach Hause. Beide hätten zwar nicht viel miteinander reden können, hatten aber offensichtlich ein sehr gutes Verhältnis zueinander. Herausforderungen gäbe es auch, diese lägen aber eher im Umfeld begründet. Zum Beispiel sei der Transport in die entsprechenden Schulen auf Grund organisatorischer Hürden immer noch nicht abschließend geklärt.

Inzwischen konnte auch ein strukturierter Tagesablauf etabliert werden. Je nach Schulbeginn und Anfahrtsweg wird schon um 06:00 Uhr geweckt. Wo möglich wird gemeinsam gefrühstückt und zu Mittag gegessen. Die Verpflegung erfolge weitestgehend in Selbstregie, unterstützt von einer Köchin. Hier bedauerte die Projektleiterin das Fehlen eines Supermarktes in Lülsfeld. Ab 15:00 Uhr könnten die Jugendlichen sich in ihrer Freizeit beschäftigen. Zur Nachtruhe würden die Handys eingesammelt und am Folgetag erst zur Freizeit zurückgegeben. Die Zimmer reinigten die Jugendlichen selbst.

Das starke Interesse der Zuhörer zeigte sich in den vielen und vielfältigen Fragen. Den Wunsch eines Zuhörers einen der Jugendlichen sich in der Runde selbst einmal vorstellen zu lassen konnte Stief nicht Folge leisten. An diesem Beispiel schilderte Sie, dass eben solche Dinge zuerst mit dem Vormund abgestimmt werden müssten. Durch ihre detailreichen und teilweise nahe gehenden Schilderungen konnte sie die Zuhörer von Ihrer Meinung überzeugen, dass wesentliche und elementare Gründe vorliegen müssten, damit ein junger Mensch alles hinter sich ließe und in eine unsichere Zukunft aufbräche. Viele seien aufgrund der vielen negativen Erfahrungen, die sie bereits in ihrem noch jungen Leben gemacht hätten traumatisiert.

Ein weiterer Zuhörer erkundigte sich nach den Berufswünschen der Jugendlichen. Ziel Einiger sei es zum Beispiel Arzt oder Ingenieur zu werden um ausreichend Geld zu verdienen um eventuell Familien oder Freunde nachzuholen. Sollte das nicht klappen liebäugelnden einige mit einer Karriere als Profi-Fußballer. Die Meisten seien jedoch realitätsnah und gingen sehr praktischen Ausbildungen nach wusste die Projektleiterin. Ob es denn schon fremdenfeindliche Aktionen gegen die Einrichtung oder einzelne Personen gegeben habe war die abschließende Frage. Hier konnte Stief verneinen. In diesem Zusammenhang lobte sie die vorbildliche freundliche Aufnahme und die vielfältigen Unterstützungen durch die Lülsfelder.

(Fotos und Text: Matthias Wiener)_MG_9446_-_Kopie.jpg

Bis zum letzten Sitzplatz gut besucht. Projektleiterin Marion Stief (ganz rechts) konnte den rund 70 interessierten Zuhörern einen facettenreichen Einblick in das Leben der Jugendlichen geben.

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Lülsfelds Bürgermeister Wolfgang Anger in Diskussion mit Projektleiterin Marion Stief. Im Hintergrund Realschuldirektor Harald Pitter und Diakon Albert Hein.